Verletzung, ein Gebäude erzählt, 1996

Eine Installation im Atelier Gerichtstraße, 31.08. – 22.09.1996, Gefördert von der GeSoBau – Berlin.

1996 schrieb ich dazu:

Der Betonfußboden meines Atelierraumes, in dem ich seit nunmehr 13 Jahren arbeite, hat eine Besonderheit: Fast in der Mitte, der Längsachse seines rechteckigen Grundrisses folgend, erstrecken sich teils klaffende, eher Spalten zu nennende, teils feinere Verästelungen von Rissen und Vertiefungen.

Auf einer Länge von 12 Metern entsteht der Eindruck eines Flußdeltas, eines Flusses mit vielen Zuflüssen.

Betritt man den Raum, so fällt eine sich im hinteren Drittel desselben befindliche, etwa einmeterfünfzig große, runde Vertiefung auf, die im Verhältnis zum höchsten originalen Fußbodenniveau zwanzig Zentimeter tief abfällt.

Von der Mulde aufwärts sehend, erblickt man einen, der die Betondecke stützenden und den Raum überspannenden Stahlbetonstürze.

Dieser ist auf zwei Dritteln seiner Länge, also ungefähr fünf Meter lang, erneuert oder besser geflickt worden und weist zur Fensterseite hin ein Gefälle von gut fünfzehn Zentimetern auf.

Links und rechts davon ist die Decke auf etliche Quadratmeter angeflickt.

Heute weiß ich sicher:

Hier ist zwischen März und Mai 1945 eine Bombe, eine Granate oder doch zumindest ein relativ starker Sprengkörper, das Dach und die vier darüberliegenden Betondecken durchschlagend, geendet.

Noch erfahrbare Geschichte, mit der ich lebe, materialisiert sich hier.

Im Sinne eines umfassenden Kulturverständnisses, in dem daß „Davor“ (Geschichte) mit dem „Danach“ immer in einem teils komplexen Zusammenhang steht, ist die Installation eingerichtet.

Die Installation soll Emotionen und Erinnerungen wecken und zur Diskussion über die Kultur heute anregen.

Es geht dabei nicht um ein didaktisches Kalkül, sondern um „künstlerische“ Anregung, Aufregung.

Zur Installation

Der 90 m² große, rechteckige Atelierraum ist vollkommen leergeräumt.

Die Wände, die Decke und die Betonstürze sind mit schwarzem Moltonstoff verkleidet.

Davon ausgenommen sind die durch den Bombenschaden verletzten Bereiche.

Der Betonfußboden ist durch intensive Säuberung plastisch erfahrbar hergerichtet.

Die, vom Eingang kommend, sich links hinten befindende, kürzere Wandseite des Raumes (7,50 m lang), zeigt eine 4,90 m x 2,80 m große, fotografische Vergrößerung (eine Luftbildaufnahme der Alliierten vom März 1945).

Zu sehen sind darauf: Der Gesundbrunnen, der Humboldhain, der Bebauungsblock, Gerichtstr., Kolbergerstr., Wiesenstr. und Hochstr. u.a..

Die linke, längere und die gegenüberliegende Wandseite sind mit 5 Fotografien im Format 1,65 m x 1,26 m bestückt.

Diese zeigen:

1. Luftbildaufnahme 1943, vom Fabrikgelände Gerichtstr.

2. Luftbildaufnahme 1945, vom Fabrikgelände Gerichtstr.

3. Luftbildaufnahme 1953, vom Fabrikgelände Gerichtstr.

4. Luftbildaufnahme 1959, vom Fabrikgelände Gerichtstr.

5. Die Fassade unseres Fabrikgebäudeteils heute.

Die Fotografischen Motive – schwarz/weiß Aufnahmen – sind mit Fotolasurfarben malerisch bearbeitet.

Zu der bis hier dargestellten Installation läuft im Off (versteckte Lautsprecher), eine Toncollage mit Interviewsequenzen von der Zeitzeugin Frau Will (z.B. ihre Erlebnisse im Hochbunker des Humboldhain 1944) und anderen dokumentarischen Tonaufnahmen, wie Geräuschen unseres Gewerbehofes heute, Luftschutzwarnungen und Bombeneinschläge während des Krieges,  musikalischen Sequenzen („…Wenn ich mir was wünschen dürfte…“ mit Marlene Dietrich) etc.